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Hommage für Louis Braille

Richter am BGH a. D.
Dr. Hans-Eugen Schulze

Hommage für Louis Braille
04.01.1809 bis 06.01.1852:

Mein Weg durch's Leben mit seiner Schrift

Im April 1928 - ich war 6 Jahr alt - saß ich in der ersten Klasse der Blindenschule Soest. Vor mir lag eine Zinkblechplatte mit kleinen Wörtern in Blindenschrift. Ich lernte, die Schrift zu lesen und zu schreiben. Wie sie auf einer Blindenschriftmaschine geschrieben, wie sie gelesen wird und wie die einzelnen Buchstaben aussehen, finden Sie hier.

  Brailleschreibmaschine

Im Jahre 1932 kamen die "Deutsche Blindenkurzschrift", 1936 die Stenographie und die Notenschrift, später auch die Mathematik- und Chemieschrift sowie die französische und die englische Kurzschrift hinzu.

Ab 1936 - die Schulzeit betrug damals nur 8 Jahre - wurde ich in Soest drei Jahre lang zum Stenotypisten, Telefonisten, Stuhl- und Mattenflechter ausgebildet. Letzteres hat mir ab 1961 geholfen, die Christoffel Blindemission in Fragen der Berufsbildung in Entwicklungsländern zu beraten. So hat alles im Leben seinen Sinn, wenngleich wir ihn oft nicht sofort, manchmal vielleicht sogar überhaupt nicht erkennen. Auch meine Erblindung hatte ihn, wie ich auf der Startseite meiner Homepage angedeutet habe.

1939 wurde ich beim Landgericht Dortmund angestellt. Ich nahm Diktate mit einer Stenomaschine auf, die auf schmale Streifen schreibt, von denen ich nachher den Text in die Schreibmaschine übertrug. Da die Strafurteile, die mir diktiert wurden, hauptsächlich Tatsachenfeststellungen enthielten, welche sich aufgrund der jeweiligen Hauptverhandlung ergeben hatten, traute ich mir zu, sie auch selbst entwerfen zu können, hätte ich Jura studiert. Also begann ich, mich - natürlich mit Blindenschriftbüchern - auf den Eintritt in die Carl-Strehl-Schule der Deutschen Blindenstudienanstalt vorzubereiten. Unbegreiflich ist mir noch heute, wie es mir bei dem großen Arbeitskräftemangel am Ende des Krieges möglich war, zum 31.01.1944 vom Landgericht entlassen zu werden. Im April dieses Jahres ging ich nach Marburg, und legte dort zu Ostern 1945 das Abitur ab.

Danach betreute ich Kriegsblinde beim Blindenschriftlesen. Ab Januar 1946, als die Universität ihren Betrieb wieder aufnahm, studierte ich Jura und Volkswirtschaft. Die Vorlesungen schrieb ich, soweit erforderlich, auf der Stenomaschine mit und übertrug die Stenogramme nachher auf Blätter. Diese kleine Maschine begleitete mich auch durch alle Klausuren hindurch.

Natürlich entwarf ich meine Hausarbeiten im Studium und in den beiden Staatsprüfungen, meine Dissertation und später alle meine richterlichen Entscheidungen in Blindenschrift. In ihr sammelte ich auch das Material zu deren jeweiliger Vorbereitung. Insbesondere beim Bundesgerichtshof waren das oft sehr viele Seiten. Auch vieles von dem, was auf meiner Homepage steht sowie zahlreiche Artikel in "Horus" und anderen Blindenzeitschriften habe ich in Blindenschrift entworfen.

Die Stenomaschine verwendete ich beim Oberlandesgericht, um die Aussagen von Parteien und Zeugen mitzuschreiben und erneut im Ruhestand, um in den Vorstandssitzungen des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes Baden sowie gelegentlich im Ältestenkreis meiner Gemeinde Protokoll zu führen.

Deutsche Bücher und Zeitschriften - von "Geistig fit" abgesehen - lese ich nicht mehr, sondern höre sie. Ich lese jedoch noch Zeitschriften in englischer Blindenkurzschrift aus Indien und Südafrika und täglich einige Übungen aus einer englischen Grammatik für Fortgeschrittene, um geistig fit zu bleiben. Ab dem nächsten Jahr werde ich zu diesem Zweck auch meine Lateinkenntnisse auffrischen.

Mir fällt häufig im Bett, bei der Gymnastik, im Gottesdienst und unterwegs etwas ein, das ich erledigen möchte. Ich habe deshalb immer, wenn ich nicht ohne weiteres an den Schreibtisch gehen kann, eine Blindenschrifttafel, in meinem Falle im Postkartenformat und einen Stift bei mir. Die Tafel besteht aus einer Grundplatte mit Grübchen, gruppiert zu jeweils sechs, aus denen die Blindenschrift besteht. Auf sie legt man Papier und klappt darüber ein Gitter mit "Zellen" in der Größe eines Blindenschriftbuchstabens. In sie sticht man mit einem Metallstift, der einen dem Zeigefinger angepassten Handgriff hat, die einzelnen Punkte. Da ich stenographiere, geht mir das sehr schnell von der Hand. Man schreibt spiegelverkehrt von rechts nach links, um nachher wie Sehende von links nach rechts mit den Fingern lesen zu können.

Ein eindrucksvolles Erlebnis hatte ich im Jahre 1954. Zwei Jahre vorher waren die sterblichen Überreste von Louis Braille aus Anlass seines hundertsten Todestages ins Panthéon aufgenommen worden. Meine Frau und ich suchten es auf und verweilten eine Zeitlang vor der mit Gitterstäben verschlossenen Nische, in der sein Sarkophag steht.







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