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Dr. Hans-Eugen Schulze

 

 

Dr. Hans-Eugen Schulze
Richter am BGH a. D.
Jahrgang 1922

Geschenkte Jahre

 
  Dieses Bild zeigt Marga und Hans-Eugen Schulze in jungen Jahren  

 

Ich widme diesen Bericht meiner Unverwechselbaren Frau
  
     

 

Ausnahmsweise wird hier auch der Text aus der 1. Auflage eingestellt.

  

1. Auflag

 

Als Bundesrichter im Ruhestand

  

Wer, wie ich, als Kind erblindet und bereits kurz vor Vollendung des 64. Lebensjahres aus dem Dienst geschieden ist, ohne aus gesundheitlichen Gründen dazu genötigt zu sein, kann sich noch verhältnismäßig leicht auf den beruflichen und beamtenrechtlichen Ruhestand umstellen. 
   

Vor vielen Jahren hatte ich einen kleinen Vortrag "Keine Angst vorm Ruhestand" gehalten.

Vielleicht hatte ich in erster Linie mir selbst damit Mut machen wollen. Jedenfallls habe ich seitdem alles notiert, was ich noch tun könnte, wenn für mich die Zeit gekommen wäre. Aber nichts davon habe ich bisher getan, so intensiv habe ich mich anderweit beschäftigt, obwohl meine Pensionierung jetzt schon acht Jahre zurückliegt.

 

Voraussetzung für meinen "tätigen" Ruhestand ist allerdings, dass ich trotz meiner Blindheit weitgehend für mich selbst sorgen, auch allein reisen und mir fast immer die Hilfe organisieren kann, die ich jeweils benötige, dass ich ursprünglich zum Stenotypisten ausgebildet worden war, als solcher fast fünf Jahre gearbeitet hatte und deshalb noch heute alle meine Schreibarbeiten schnell und einigermaßen sicher erledigen kann, dass ich mit meiner ausgesprochenen ordnungsliebenden, umsichtigen und kontaktfreudigen Frau verheiratet bin, die nicht nur unseren Haushalt, unsere Steuerkarten und Bankkonten führt, sondern mir auch noch vorliest und bei Veranstaltungen Verbindungen für mich herstellt, dass ich daneben in meiner Nachbarschaft bis heute stets Vorlesehilfe fand und dass meine Frau und ich gesund sind und auch sonst keine Sorgen haben.
 

Natürlich nehme ich mir im Ruhestand mehr Zeit, als mir dies früher neben meinem Beruf möglich war, unsere Zweisamkeit und die Freundschaft zu anderen zu pflegen, meiner Frau abzunehmen, was ich eben kann - das ist leider viel zu wenig! - sowie um Bücher und Zeitschriften zu lesen und Cassette zu hören. Ich habe den Eindruck, erst jetzt richtig ermessen zu können, wie ein köstlich´ Ding es ist, Zeit zu haben.
 

Was ich sonst noch tue oder getan habe?:

Vielleicht ängstlich, was werden sollte, hatte ich im ersten Ruhestandsjahr (1986) vier Reisen in Drittweltländer für die Christoffel Blindenmission (CBM) übernommen, darunter eine nach China. Danach musste ich mich viele Monate lang mit dem Blindenwesen in dieser Volksrepublik beschäftigen, um Hilfe zu organisieren und auf die Probleme der dortigen Blinden und Sehbehinderten aufmerksam zu machen. Im dritten Jahr habe ich unter anderem an der Übersetzung des Buches der blinden Chinesin Lucy Ching "...Aber Du siehst mit den Händen" mitgearbeitet. Wie mir dies möglich war? Der Verlag hatte den Entwurf einer an sich guten Übersetzerin, die aber keine eigenen Erfahrungen mit Blinden, Blindenschrift und Blindenhilfsmitteln und nicht mit fernöstlichen Sitten vertraut war, auf Cassette lesen lassen. Ich hörte den Entwurf, las den englischen Blindenschrifttext, den ich mir aus Hongkong beschaffen konnte und notierte meine Änderungsvorschläge für die deutsche Übersetzung.
  

Ein Jahr später, genau fünfzig Jahre nach dem berüchtigtem Hitler-Stalin-Pakt, öffneten sich meiner Frau und mir die Türen nach Litauen, wo ich das Blindenwesen studierte, um danach Hilfe vor allem der CBM zu organisieren. 1990/91 konnte ich Blinden und Sehbehinderten aus akademischen und verwandten Berufen in der ehemaligen DDR helfen, sich weiterzubilden und wieder Fuß zu fassen, und konnte zur Zusammenführung der evangelischen Blindendienste in Ost und West beitragen. Im September 1990 waren wir in Polen, unter anderem mit der Folge, dass die CBM zehn Monate später in Krakau ein Seminar für Lehrer und Sozialarbeiter zur Früherziehung blinder und sehbehinderter Kinder anbieten konnte. Im Jahre 1991 standen Weißrussland und noch einmal Litauen auf unserem Programm, im Jahre 1992 erneut Thailand und Indien für die CBM - wahrscheinlich mein letzter Langstreckenflug - sowie Estland und Lettland. Gegenwärtig sind wir dabei, Verbindungen zu Blinden- und Sehbehindertenschulen in Odessa und Kiew zu knüpfen.

 

Im übrigen berate ich ständig Blindenorganisationen. In Baden bin ich nicht nur der Bezirksleiter des DVBS - erst im Januar 1994 trotz meiner fast 72 Jahre noch einmal für drei Jahre wiedergewählt -, sondern auch der Beauftragte für Blinden- und Sehbehindertendienst der evangelischen Landeskirche. Als solcher führe ich häufig Telefonate mit älteren Menschen, die neu erblindet sind oder mit ihrer Erblindung rechnen müssen, um sie mit Literatur auf Cassette oder in Großdruck zu versorgen, ihnen zu helfen, weiterhin am Gemeindeleben teilzunehmen, und um sie auf ihre sozialen Vergünstigungen hinzuweisen. Ergänzend dazu baue ich seit 1992 einen Verein auf, um Vorsorge für die Zeit zu treffen, da ich selbst diesen Dienst nicht mehr tun kann. 
  

Auch halte ich Vorträge über Blindenfragen vor Sozialarbeitern, Pfarrern und Krankenpflegepersonal und verfasse gelegentlich einschlägige Artikel. Schließlich bemühe ich mich, Forschung für alte blinde und sehbehinderte Menschen anzuregen und zu unterstützen.
   

Meine Frau und ich sind nicht ängstlich auf unsere Gesundheit bedacht, gehen aber verantwortlich damit um. Dazu gehört, dass wir uns vernünftig ernähren, möglichst viel spazieren gehen, Gymnastik treiben und nicht untätig sind, sondern die uns anvertrauten nutzen. Wir betrachten unsere Gesundheit und Schaffensfreude als Geschenk. Wir wissen, dass beide allmählich nachlassen werden und unser Bedarf an fremder Hilfe zunimmt. Wir sehen dem im Vertrauen darauf entgegen, dass dann andere für uns sorgen, wie wir jetzt nach dem Maß unserer Möglichkeiten für andere sorgen.
  

 

2. Auflage
  

In dem Buch von Dorothee Meding "Mit dem Mut des Herzens - die Frauen des 20. Juli" fand ich ein Zitat, das Emmi Bonhoeffer, die Witwe des gleichfalls hingerichteten Klaus Bonhoeffer, sich zu Eigen gemacht hatte: "Heb´ auf, was Gott Dir vor die Füße legt". Sie schreibt dazu: "...Ich habe nie irgendetwas systematisch gemacht, ich habe immer nur aufgehoben, was mir vor die Tür gelegt wurde, und da lag immer was". Das kann ich zu einem großen Teil auch von mir sagen. Von alledem, was ich mir vorher für meinen Ruhestand vorgenommen hatte, konnte ich bisher nur weniges tun; denn Gott hat immer etwas anderes vor meine Füße gelegt, und ich habe mich, um mit der Lutherübersetzung von Eph. 5,16 zu sprechen, nur immer einfach bemüht, die Zeit "auszukaufen".

  

Mein Bericht wird Informationen enthalten, die ich an sich nicht veröffentlichen würde. Ich muss es dennoch, weil ich nur so hoffen kann, meinen Lesern zu vermitteln, wie erfüllt und lebenswert - wenngleich nicht immer leicht - das Leben nach dem Rückzug aus dem Beruf noch sein kann.

  

Ich will erfolgreich alt werden, weil ich für mich noch große Aufgaben und Herausforderungen sehe. Für andere, die das gleichfalls wollen, habe ich einen Ratgeber für erfolgreiches Altern geschrieben, nach dem ich selbst lebe.

  

Seit einer Muskelerkrankung im Jahre 1996 treibe ich noch weit mehr Gymnastik als zuvor. Daraus ist inzwischen als einer der Bestandteile meines Ratgebers für erfolgreiches Altern ein Ganzkörpertraining entstanden. Außerdem habe ich die Blindenschriftdruckerei Paderborn veranlasst, die Zeitschrift "Geistig Fit" zu drucken, soweit sich die in ihr enthaltenen Übungen in Blindenschrift darstellen lassen. Ich selbst treibe allerdings neben meiner vielseitigen Tätigkeit kein systematisches Gedächtnistraining, hebe jedoch die Übungen für einen etwaigen Krankheitsfall auf, weil das Gedächtnis schnell nachlässt, wenn es nicht arbeitet.

   

Von einschneidender Bedeutung war für mich, dass ich seit 1998 phasenweise von Hause unabkömmlich bin. Ich habe daraufhin Tätigkeiten, die mich zwangen, zu bestimmten Zeiten anderswo zu sein, allmählich aufgegeben und schätze mich glücklich, überall, wo das nötig war, zuverlässige und engagierte Nachfolger gewonnen zu haben:

- Aus dem Ältestenkreis meiner Gemeinde - in den ich im Jahre 1995 gewählt worden war - konnte ich Ende 2003 ausscheiden.

    

- Als Bezirksleiter für Baden des DVBS konnte ich erreichen, dass behinderte Studierende im Lande Baden-Württemberg, anders als nichtbehinderte, auch seit dem Wintersemester 1998/99 bei Überziehung ihrer Studienzeit keine Gebühren zu zahlen brauchen. Danach konnte ich aber das Amt der Bezirksleitung in jüngere Hände legen.

   

- Nachdem Frau Dr. Liebe im Jahre 1994 als Leiterin der Seniorengruppe zurückgetreten war, hatte ich diese geleitet. Im Jahre 2000 hat mich jedoch dankenswerterweise Dr. Joh.-Jürgen Meister abgelöst.

    

- Im AK Sehgeschädigtenbildung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands habe ich gleichfalls einen jüngeren Nachfolger gefunden.

   

- Dem Vorstand des Evang. Blinden- und Sehbehindertendienstes Baden gehöre ich seit Anfang dieses Jahres nicht mehr an.

   

Der DVBS hat mich inzwischen zwar zu seinem Beauftragten für Seniorenangelegenheiten ernannt, um mir die Fortsetzung meiner Arbeit auch außerhalb der Fachgruppe zu ermöglichen. Die damit verbundene Tätigkeit lässt sich aber fast ausschließlich von Hause aus erledigen.

   

Trotzdem konnte ich in der Vergangenheit noch vieles bewirken und hoffe, es weiterhin zu können: Den DVBS vertrete ich weiterhin im Komitee zur Verhütung von Blindheit. Das hat mir im Jahre 2001 die Möglichkeit gegeben, vor Augenärzten über die Wichtigkeit frühestmöglicher Kontakte sehgeschädigter Patienten zu anderen Sehgeschädigten und die Möglichkeit zur Herstellung solcher Kontakte zu sprechen und später in der Zeitschrift "Der Augenarzt" einen Artikel darüber zu schreiben. Im Zusammenhang damit habe ich in Seniorenzeitschriften "Ratschläge zum Umgang mit Blinden und Sehbehinderten in Veranstaltungen der offenen Altenhilfe" veröffentlicht.

   

In der Christoffel-Blindenmission (CBM-Deutschland) bin ich weiterhin beratend tätig, habe insbesondere an der Gründung des Vereins mitgewirkt, in dem CBM-Deutschland und alle anderen nationalen CBM-Vereine ihre gesamte Überseearbeit koordinieren und gehöre seitdem als ständiges Mitglied dem Missionsrat - dem Aufsichtsorgan - von CBM-D an. Nach außen arbeite ich mit in der Jury, die alljährlich junge Menschen auszeichnet, welche im Rahmen von "Jugend forscht" Hilfsmittel für Behinderte erfunden haben, sowie in der Initiative "Vision Twenty-Twenty - the Right to Sight", deren Ziel es ist, bis zum Jahre 2020 weltweit alle vermeidbare Blindheit zu verhüten und alle heilbare zu heilen. In der internationalen Arbeit halte ich Verbindung zum Präsidenten des Überseevereins Prof. Dr. Allen Foster, den Mitgliedern des DVBS aus seinem Vortrag über "Vision Twenty-Twenty" in der Mitgliederversammlung des Jahres 2002 bekannt.

   

Den Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienst Baden habe ich bis zu meinem Ausscheiden, Anfangs des Jahres, vertreten

     

- in der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Baden-Württemberg e.V.,

- im AK Sehgeschädigtenpädagogik und

- in der Landeskommission für blinde und sehbehinderte Menschen in Baden- Württemberg.

   

In der Sehgeschädigtenpädagogik bewegt mich seit langem die Frage, wie blinde und hochgradig sehbehinderte Jugendliche, die naturgemäß in erster Linie auf einen Beruf hin erzogen werden müssen, auch auf ein mindestens vorübergehendes Leben ohne Arbeit oder jedenfalls auf die weitere Zunahme von Freizeit vorbereitet werden können. Dazu habe ich beim 32. Kongress für Sehgeschädigtenpädagogik 1998 in einem Workshop "Lebensperspektive arbeitslos - die Sinnfrage" ein Statement abgegeben.

   

Hatte ich früher vor allem dafür geworben, dass Kinder, deren Eltern dies wünschen, eine Regelschule sollten besuchen können, so muss ich mich neuerdings leider auch dafür einsetzen, dass sie dort die nötige Förderung durch Sehgeschädigtenpädagogen erhalten, insbesondere rechtzeitig im Schreiben und Lesen der deutschen Blindenkurzschrift unterrichtet werden.

    

In der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, der der Verein mit seiner Seniorengruppe im Jahre 1994 beigetreten war, brauchte ich ihn nur bis zu meiner Ablösung durch Dr. Meister als Fachgruppenleiter im Oktober 2000 zu vertreten. Hier habe ich mich bemüht, unsere Arbeit bundesweit bekannt zu machen und andere Behindertengruppen anzuregen, gleichfalls ihre besonderen Bedürfnisse als Senioren zu artikulieren. Ich habe außerdem beim Deutschen Seniorentag der Jahre 1997 und 2000 je einen Workshop über Blindheit und Sehbehinderung im Alter vorbereitet und geleitet. Die im Jahre 1997 verabschiedete Resolution "Rehabilitation statt Pflege" ist abgedruckt in Horus 1997/100 und ist immer noch aktuell. Beim deutschen Seniorentag 2006 habe ich meinen Ratgeber für erfolgreiches Altern als Entwurf vorgestellt.

    

Mein ursprünglicher Plan, die europäischen Sehgeschädigtenorganisationen durch den Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband und den DVBS zu einer Seniorenkonferenz einladen zu lassen, ist zwar am Fehlen von Geld gescheitert. Stattdessen habe ich jedoch als Vertreter des DVBS gemeinsam mit Herrn Prof. Wahl als Vertreter des Deutschen Zentrums für Alternsforschung der Universität Heidelberg eine "International Conference on the Special Needs of Blind und Low Vision Seniors" vom 16. - 18. März 2000 vorbereitet und durchgeführt. Auch die dabei gehaltenen Vorträge sind von meiner Homepage abrufbar.

   

Für blinde und sehbehinderte Bewohner von Wohnstiften und Seniorenresidenzen habe ich einen Ratgeber geschrieben, den der DVBS über die Wohnstiftverwaltungen als Email, MP3-CD oder in Großdruck an alle Betroffenen gesandt hat.

Nachdem ich mich zusammen mit vielen anderen für die Aufnahme eines Benachteiligungsverbots zu Gunsten Behinderter in das Grundgesetz eingesetzt hatte, hat sich, von November 1995 bis Februar 1997, auf meine Anregung und unter meiner Federführung ein Arbeitskreis des DVBS mit der Frage befasst, was dieses Verbot für Blinde und Sehbehinderte bedeuten könnte (Horus 1997/121). Daraus ist inzwischen der AK "Nachteilsausgleiche" hervorgegangen, den ich zwar nicht mehr zu leiten brauche, dem ich aber gleichfalls angehöre.

   

Zur Zulässigkeit der Mitwirkung blinder Richter habe ich mich im Jahre 1995 in der Monatsschrift für Deutsches Recht erneut geäußert (S. 670 ff.). Außerdem habe ich mich in der Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen 1999 für die Zulassung Blinder zum Schöffenamt eingesetzt.

   

Inzwischen ist die Frage, wie sehgeschädigte Senioren - wann immer sie ihren Sehverlust erlitten haben - ihre Lebensqualität steigern (oder durch andere steigern lassen) können, zum beherrschenden Thema meines Ruhestandes geworden. Dazu habe ich außerdem schon erwähnten Ratgeber für die Bewohner von Wohnstiften und Seniorenresidenzen

    

- einen Ratgeber "Nicht verzagen, sondern wagen - Praktische Hinweise für Altersblinde" und

- einen Ratgeber für soziale Dienste in Altenheimen, ambulante Dienste und Studierende der Altenpflege "Sehbehinderten und blinden alten Menschen professionell begegnen und helfen" geschrieben (herausgegeben vom Kuratorium Deutsche Altershilfe 1999 bzw. 2003), die ich gegenwärtig fortschreibe. Mit dem Ratgeber für die Professionellen trage ich auch dem Umstand Rechnung, dass die Krankenkassen trotz großer, von mir im Jahre 1993 angeregter und unterstützter Bemühungen der großen Sehgeschädigtenorganisationen noch immer nicht verpflichtet sind, Training in lebenspraktischen Fähigkeiten zu finanzieren. Gegenwärtig bearbeite ich beide Ratgeber neu.

  

Als Seniorenbeauftragter des DVBS und Beauftragter für Blinden- und Sehbehindertendienst der Evangelischen Landeskirche in Baden habe ich außerdem am 27. Juni 2003 eine Arbeitstagung "Blinde und sehbehinderte Senioren als besondere Zielgruppe unserer Arbeit" vorbereitet und durchgeführt. Nach Vorlage meines Tagungsberichtes hatte ich bundesweit alle Sehgeschädigtenorganisationen bitte wollen, nach dem Vorbild des DVBS Beauftragte für Seniorenangelegenheiten zu stellen und diese zum gelegentlichen Erfahrungsaustausch einzuladen. Das ist mir mit meiner Unabkömmlichkeit von Karlsruhe jetzt nicht mehr möglich. So kann ich nur hoffen, jemand Anderes werde es nach der Lektüre meines Berichtes tun. Ich muss allerdings einräumen, dass mein Versuch, wenigstens die Sehgeschädigtenorganisationen in Baden-Württemberg zu einem laufenden Erfahrungsaustausch und zu vermehrten Aktivitäten für den genannten Personenkreis zu veranlassen, erfolglos war. So werde ich meinen Traum von einem bundesweiten Erfahrungsaustausch vorerst begraben müssen; die Zeit ist offenbar noch nicht reif dafür. Aber das habe ich schon öfter erlebt: Im Festvortrag zum 125-jährigen Bestehen der Blindenschule Soest - meiner Schule - hatte ich im Jahre 1972 angeregt, Blinden die Gelegenheit zu geben, unter Aufsicht eines Fahrlehrers selbst Auto zu fahren; seit einigen Jahren erst werden solche Gelegenheiten angeboten. In meinem Festvortrag zum 100-jährigen Bestehen der Blindenselbsthilfebewegung in Deutschland im Jahre 1974 hatte ich bundesweite Treffen blinder Menschen - nicht nur der Vorstände ihrer Landesvereine - angeregt, und im nächsten Jahr endlich wird es ein solches Treffen geben.

In den Jahren 1996 und 2002/03 musste ich mich federführend für alle Sehgeschädigtenorganisationen des Landes um die Erhaltung der Landesblindenhilfe bemühen (vgl. für 1996 meinen Bericht Horus 1997/14). Auf Grund der dabei gewonnenen Erfahrungen möchte ich auch die Zusammenarbeit der Organisationen in den anderen Bundesländern fördern. Dazu habe ich am 13.06.2003 - wiederum im Rahmen des Evangelischen Blinden- und Sehbehindertendienstes Baden und des DVBS - eine Arbeitstagung über "Gemeinsame Aufgaben und Möglichkeiten säkularer und christlicher Sehgeschädigtenorganisationen in einer sich wandelnden Welt - einer immer älter, multikultureller und individualistischer werdenden, aber nach Vernetzung und Integration strebenden Gesellschaft" durchgeführt.

  

Ich habe mich weiterhin, wie schon früher, für die angemessene Entschädigung von Menschen engagiert, die zwischen 1933 und 1945 zwangssterilisiert worden waren. Das hat mich nicht gehindert, in Horus 2004 (S. 55) für Professor Strehl einzutreten, dem Malmanesh in einer Dissertation vorgeworfen hatte, in dieser Hinsicht versagt zu haben.

   

Selbst viel gereist, habe ich mir zugetraut, in dem Buch "Reisemedizin", herausgegeben von Kretschmer, Kusch und Scherbaum, einen Beitrag über Blinde und hochgradig Sehbehinderte auf Auslandsreisen zu veröffentlichen (2. Auflage, Urban und Fischer, München, 2005).

   

Aus der Notwendigkeit, für einen mir nahestehenden Menschen, den ich wegen großer Entfernung nicht selbst unterstützen kann, dennoch optimal zu sorgen, ist bei mir der Gedanke entstanden, an Stelle der bisher üblichen ambulanten Pflegerin, die nur bestimmte Dienste anzubieten vermag, ein neues Berufsbild zu entwickeln, die "freiberuflich tätige Pflegefachkraft", die alles tut, was ihr Klient nötig hat um nicht in ein Heim zu müssen, sondern bis zuletzt zu Hause bleiben zu können (Psych. Pflege heute, November 2005).

  

Im Seminar der Seniorengruppe des Jahres 2003 habe ich mich über den Schutz der Selbstbestimmung am Ende des Lebens - Patientenautonomie, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung - geäußert. Hervorgegangen war dieser Vortrag aus meinen, bis in das Jahr 1997 zurückreichenden Bemühungen, im BGB verankern zu lassen, dass ein Betreuer, wenn er lebenserhaltende Maßnahmen ohne das Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung abbrechen lassen will, dazu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf. Zu einer Gesetzesänderung haben diese Bemühungen noch immer nicht geführt. Entwürfe zu einer Vorsorgevollmacht unter Eheleuten und zu einer Patientenverfügung, wie ich sie in meinem damaligen Vortrag entwickelt hatte, bilden inzwischen den Schluss meines Ratgebers für erfolgreiches Altern.

  

Seit Juli 2000 hatte ich mich beim Bundesministerium der Justiz darum bemüht, dass Blinde und Sehbehinderte wenigstens in Strafsachen barrierefreien Zugang zu den für sie bestimmten Schriftstücken erhalten. Das hat - weit über mein Hoffen hinaus - dazu geführt, dass sie nunmehr sogar in Zivilsachen barrierefreien Zugang haben werden (vgl. §191 a GVG und die dazu erlassen Durchführungsverordnung).

   

Im Jahre 2003 habe ich mich an der Schaffung eines Behindertenbeirats in Karlsruhe, insbesondere der Aushandlung und Formulierung seiner Statuten, beteiligt.

   

Da der Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Niedersachsen im August 2004 der Kirche und dem VDK vorgeworfen hatte, sich nicht genügend für die Erhaltung des dortigen Blindengeldes einzusetzen, konnte ich erreichen, dass beide es taten. Nachdem sodann diskutiert wurde, man könnte das Blindengeld für Menschen über siebzig kürzen, um dasjenige für jüngere vollständig zu erhalten, habe ich mich als Beauftragter des Vereins selbst eingemischt.

   

Entwürfe zu wichtigen Briefen habe ich gern mit Rechtsanwalt Dr. Demmel besprochen, der übrigens zu meiner großen Freude noch im Alter von 70 Jahren promoviert hat - und das sogar summa cum laude.

   

So habe ich auch meine Forderung an das Bundesministerium des Innern mit ihm diskutiert, durch die Zulassung von Stimmzettelschablonen blinden und hochgradig sehbehinderten Bürgern gleichfalls die geheime Wahl zu ermöglichen, eine Forderung, die sich daraufhin, um ihr mehr Nachdruck zu verleihen, der DVBS zueigen gemacht hat und die dann alsbald durch das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz erfüllt worden ist.

  

Vergeblich hatte ich das Seniorenministerium gebeten, uns zu helfen, blinde und sehbehinderte Senioren ausfindig zu machen. Unerwartete Hilfe kam vom Deutschen Institut für Angewandte Pflegewissenschaften in Köln. Ich erfuhr von seinem in Stuttgart laufenden Versuch, durch Ärzte oder Soziologen alle Krankenversicherten über 75 über eine längere Zeit besuchen zu lassen, um Krankheiten und Behinderungen vorzubeugen oder, wo die Besuchten schon erkrankt oder behindert wären, zu zeigen, damit umzugehen. Ich konnte mich noch mit einem eigenen Fragebogen für Blinde und Sehbehinderte in das Projekt einbringen. Gegenwärtig redigiert das Institut das Buch "Der präventive Hausbesuch", zu dem ich den Beitrag zum Besuch bei Blinden und Sehbehinderten schrieb. Weil dieser Beitrag nur das Besuchspersonal interessiert, steht er nicht auf meiner Homepage.

   

Zwar habe ich mich überall, wo es mir nützlich schien, auf meine frühere Dienststellung und je nach Lage des Falles auf meine Stellung als Beauftragter des DVBS und/oder der Evangelischen Landeskirche in Baden berufen und bin sicher, mir dadurch viele Türen geöffnet zu haben. Ich habe dabei aber auch den Eindruck gewonnen, dass gute Argumente, mit Umsicht, Mut und Höflichkeit vorgetragen, schon für sich allein wirken.

   

Im Jahre 2005 habe ich die Belange blinder und sehbehinderter Senioren in dem Projekt "Mobilitätssicherung älterer Menschen im Straßenverkehr" der Universität Wuppertal wahrnehmen können.

   

Zwei Blinden, die vor uns gelebt hatten, konnte ich durch Vorträge in unseren Seminaren ein Denkmal setzen:

   

- Christoph Bernhard Schlüter, 1801 - 1884, Professor der Philosophie an der Universität Münster (Horus 1998/6) und

- Betty Hirsch, 1873 - 1957, "Mutter der kriegs- und zivilblinden Industriearbeiter und Büroangestellten" (Horus 1999/69).

Das Wirken von Dorothea Clostermeyer, 1894 - 1990, der ersten blinden Blindenlehrerin in Deutschland, habe ich wenigstens durch eine Veröffentlichung gewürdigt (Horus 2001/180).

   

In Wolfgang Stein (früher Überseedirektor der Christoffel Blindenmission und Präsident des Internationalen Rates für die Erziehung Sehgeschädigter - ICEVI) und Günther Wunn (trotz seiner Blindheit früher Syndikus der Saarbergwerke AG) habe ich gute Freunde und langjährige Weggefährten verloren. Die ihnen gewidmeten Nachrufe stehen in Horus 2001/20 und Horus 2002/20.

    

Eine große Hilfe bei all meinen Arbeiten ist mir, dass ich in der Schule gelernt hatte, auch auf einer Tafel Blindenschrift zu schreiben. Eine solche führe ich stets bei mir, wo ich weder meine Blindenschriftmaschine, noch mein fest montiertes Diktiergerät zur Verfügung habe, um mir Notizen zu machen.

   

Seit 2004 arbeite ich mit Assistentinnen im Internet. Sie recherchieren für mich und bearbeiten meine Post und Publikationen. Während ich es früher als belastend empfand, Briefe in englischer Sprache schreiben zu müssen, habe ich seitdem mehr und mehr gelernt, englische Mails, wie etwa an meinen Freund Kaul (den Generalsekretär der All India Confederation of the Blind, den unsere Stiftung im vorigen Jahr für seinen großen Einsatz zugunsten blinder und sehbehinderter Mädchen und Frauen in Asien, vor allem Indien, mit dem Marga Schulze Award ausgezeichnet hat) und das Leitungsteam des ICEVI, aus dem Stegreif zu diktieren - ein Anzeichen dafür, wie entwicklungsfähig das Gehirn noch in vorgerückten Jahren ist.

    

Im November 2001 hatte die juristische Fakultät der Universität Münster die Doktoranden des Jahres 1951 eingeladen, um feierlich ihre "Doktorwürde zu erneuern". Dabei konnte ich über die Möglichkeiten sprechen, die auch ältere Menschen, insbesondere Juristen, noch haben, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen.

   

Im Jahre 2002 haben die Deutsche Blindenstudienanstalt und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten mir als erstem nach Frau Dr. Liebe (1994) die Carl-Strehl-Plakette verliehen. Darüber haben meine Frau und ich uns herzlich gefreut.

   

Im Jahre 1997 haben wir eine Stiftung zur Förderung blinder Mädchen und Frauen in Afrika und Asien errichtet. In sie bringen wir und bringt seit dem Jahre 2003 auch meine Schwester unser Vermögen ein, soweit wir selbst und meine Schwester es nicht mehr benötigen. Wir sind glücklich darüber, auf diese Weise Menschen, die sonst keine Möglichkeit dazu hätten, den Besuch von weiterführenden Schulen und Universitäten zu ermöglichen sowie anderen blinden uns sehbehinderten Frauen Training in Personal Development, Orientierung und Mobilität, lebenspraktischen Fähigkeiten, den Umgang mit dem Computer und Selbstverteidigung anbieten zu können. Die CBM, die Hildesheimer Blindenmission und die Intermission stellen uns die dafür erforderliche Logistik zur Verfügung.

   

In meiner Freizeit lese und höre ich viel. Zu meiner Lektüre gehören auch Blindenschriftzeitschriften aus Indien und Südafrika, sowie die Blindenschriftausgabe des "Educator", der Zeitschrift des Internationalen Rates für die Erziehung Sehgeschädigter - ICEVI. Das ist mir zugleich eine kulturelle Bereicherung und lässt mich immer wieder froh und dankbar darüber staunen, wie weit Blinde und Sehbehinderte in technischer Hinsicht und in akademischen Berufen auch in Entwicklungsländern schon sind.

   

Gelegentlich stoße ich auf Bücher, die mich so faszinieren, dass ich mir wünsche, auch andere möchten sie lesen, und die ich deshalb in "Horus" oder anderswo vorstelle.

   

Meine Beschäftigung mit der Logotherapie hat mir im Jahre 1995 ein für mich besonders wichtiges Gespräch geschenkt: Damals rief ich Prof. Viktor E. Frankl, den Begründer dieser "Dritten Wiener Richtung", an, um ihm in Bezug auf seine im Alter eingetretene Blindheit Beratung anzubieten. Er war Jude, war in mehreren Konzentrationslagern und hatte in ihnen fast alle Angehörigen verloren. Wir kamen darauf zu sprechen, dass ich gegenüber Juden ein schlechtes Gewissen hätte: Im Zweiten Weltkrieg wurde auf einem Bahnhof, wo ich - wie damals üblich noch ohne jeden Stock - auf den Einsatz eines Zuges wartete, angesagt, er fahre an einer anderen, für mich nur gefahrvoll zu erreichenden Stelle ab. Ich bat einen der Umstehenden, mich mitzunehmen. "Gern - aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass ich den Judenstern trage." Ich habe nicht etwa gesagt, das mache mir gar nichts, sondern habe mich erschrocken entschuldigt und eine andere Hilfe gesucht. Frankl tröstete mich mit der temperamentvollen und sogar humoristisch eingekleideten Beschreibung, wie man mich hingerichtet haben würde, hätte ich anders gehandelt. Seitdem ist mein Gewissen wieder rein. Sehr viel später las ich dann von ihrem amerikanischen Freund und Biographen Klingberg "Das Leben wartet auf Dich", eine packende Lebensbeschreibung des Ehepaars Frankl, die auf DAISY-CD erhältlich ist.

   

Am 10. März 2005 durften wir mit einem Dankgottesdienst, in dem Altlandesbischof Prof. Dr. Engelhardt die Predigt hielt, unsere Goldene Hochzeit feiern.

   

Als es danach meiner Frau längere Zeit nicht gut ging, habe ich es übernommen, unsere Bankgeschäfte zu führen und mit der Beihilfe abzurechnen - früher Domänen meiner Frau. Seit März 2006 ist sie pflegebedürftig in Pflegestufe II. Haushaltsführung und Pflege habe ich noch mit 84 Jahren erlernt und brauche, da gute Nachbarn für mich einkaufen, nur einmal wöchentlich 3 Stunden lang eine Haushaltshilfe sowie zweimal wöchentlich eine Pflegefachkraft. Meine Frau ist sehr lieb, dankbar, anspruchslos, kooperativ und auch sonst sehr pflegeleicht. Wenn sie, wie meist, zu Bett liegt, bin ich stets durch ein Babyphon mit ihr verbunden und kann trotz der Pflege nach wie vor von früh bis spät arbeiten. So ist sie weiterhin "meine Unverwechselbare Frau", der ich diesen Bericht widme.

    

Auch Menschen mit hochgradiger Demenz können gelegentlich noch "lichte Augenblicke" haben. Ich bilde mir ein, einer meiner Freunde habe einen solchen gehabt. Am Ende eines Telefongesprächs sagte er jedenfalls ganz unerwartet: "Machs gut, Hans-Eugen, wir brauchen Dich noch". So will ich mich weiterhin brauchen lassen, wo Gott mich haben will.

   

Ich lerne immer mehr die Möglichkeiten und die Freiheit schätzen, die der Ruhestand mir bietet, blicke voller Dankbarkeit auf die Zeit seit meinem ersten Bericht zurück und wünschte mir wohl, auch die nächste Auflage dieses Buches noch redigieren zu können.

   

Ich schließe mit dem, was unter der Startseite meiner Homepage steht: "Als Jesus einen Menschen sah, der blind geboren war, fragten die Jünger ihn: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt, noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm" (Johannesevangelium Kapitel 8, Verse 1-3). An mir sind sie offenbar geworden, so wie an Louis Braille, dem gleichfalls blinden Erfinder unserer Schrift.

 

 

 

 



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